Das unerwartete Comeback der Kur
Medizinische VorsorgemaĂnahmen in den HeilbĂ€dern sollen wieder zu Pflichtleistungen der Krankenkassen werden. Das hat die Bundesregierung nach mehr als zwei Jahrzehnten des BemĂŒhens von HeilbĂ€dern, Politikern und Medizinern bereits im Dezember beschlossen. Die Entscheidung gilt als Meilenstein: Bisher war es der individuellen – und bisweilen schwer nachzuvollziehenden – Entscheidung der Kassen ĂŒberlassen, ob sie einem Kurantrag zustimmen oder ihn ablehnen. Jetzt ist erstmals ein konkreter Zeitplan bekannt geworden, wann Bundestag und Bundesrat den Entwurf aus dem Haus von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn beraten und ihn beschlieĂen werden: Demnach könnte das Vorhaben bereits im Juni dieses Jahres in Kraft treten.
Die “WiedereinfĂŒhrung der ambulanten und der stationĂ€ren Badekur nach §23/2 und 4 SGB V”, wie es im Juristendeutsch heiĂt, ist Teil des so genannten Gesundheitsversorgungs-Weiterentwicklungsgesetzes. Der Gesetzentwurf, der Kassenkuren kĂŒnftig wieder zur Pflichtleistung macht, könnte Deutschlands mehr als 300 und Bayerns mehr als 50 durch die Corona-Krise gebeutelten Kurorten zusĂ€tzliche MillionenumsĂ€tze bescheren.
Bei einer so genannten “ambulanten Vorsorgeleistung” zahlen die Kassen die Kosten fĂŒr Ă€rztliche Behandlungen und fĂŒr die vom Arzt verordneten Medikamente sowie fĂŒr Anwendungen wie BĂ€der, Massagen und andere Therapieangebote. Zu den Kosten fĂŒr Unterkunft, Verpflegung, Kurtaxe und Fahrt erhalten Versicherte von der Kasse einen Zuschuss.
“Ich gehe nach heutigem Stand davon aus, dass die neue Zuschussregelung fĂŒr Kuren und ambulante VorsorgemaĂnahmen bereits in der zweiten JahreshĂ€lfte wirksam wird – rechtzeitig, wenn laut Prognosen der Bundesregierung alle, die es möchten, eine Corona-Impfung erhalten haben”, sagt Rudolf Weinberger, der GeschĂ€ftsfĂŒhrer des Bayerischen HeilbĂ€der-Verbands. Nach seinen Informationen ist die erste Lesung des Gesetzesvorhabens im Bundestag in der letzten Februarwoche vorgesehen. Expertenanhörungen sind demnach fĂŒr den MĂ€rz geplant. Die abschlieĂende Behandlung und Beschlussfassung im Bundestag sind fĂŒr Anfang Mai terminiert. Ende Mai soll dann auch der Bundesrat dem Gesetz zustimmen.
Bayerns und Deutschlands Kurorte warten sehnsĂŒchtig auf diese Entscheidung: Als die ambulanten Vorsorgekuren noch Pflichtleistungen waren, profitierten davon Mitte der 1990-er Jahres jedes Jahr rund 900.000 BundesbĂŒrger. 2019 waren es gerade noch rund knapp 32.000. Das ist ein RĂŒckgang von ĂŒber 95 Prozent. “Jetzt haben wir die Chance, diesen Trend umzukehren”, sagt Tobias Kurz, BĂŒrgermeister von Deutschlands gröĂtem Kurort Bad FĂŒssing in Niederbayern. Der Ort zĂ€hlte vor Corona rund 2,4 Millionen GĂ€steĂŒbernachtungen pro Jahr. Bad FĂŒssing bereitet nach seinen Worten aktuell bereits konkrete MaĂnahmen vor, um StammgĂ€ste auf die neuen Möglichkeiten hinzuweisen. “Freuen Sie sich schon heute darauf, in Zukunft wieder mit Zuschuss Ihrer Krankenkasse im legendĂ€ren Bad FĂŒssinger Thermalheilwasser viel fĂŒr Ihre Gesundheit und Gesundheitsvorsorge tun zu können”, lautet eine der Botschaften der geplanten Kampagne unter anderem.
Auf Tempo beim Gesetzgebungsprozess drĂ€ngt auch der PrĂ€sident des Bayerischen HeilbĂ€der-Verbands Alois Brundobler. “Wir warten seit Jahren darauf, dass Versicherte einen Anspruch auf eine Kur haben”, sagt er. Auch er ist inzwischen optimistisch, dass die Neuerungen noch vor der Bundestagswahl am 26. September dieses Jahres beschlossen werden und in Kraft traten. Er warnt vor einer “HĂ€ngepartie” oder einem “Hinauszögern”. DafĂŒr hĂ€tten die HeilbĂ€der und auch die durch Corona geschĂ€digte Bevölkerung kein VerstĂ€ndnis.
UnterstĂŒtzung finden die PlĂ€ne fĂŒr das Comeback der Kur auch in der Wirtschaft: So fordert beispielsweise der Wirtschaftsrat Bayerns als Unternehmerverband mit rund 1.800 Mitgliedsbetrieben aktuell, Deutschland mĂŒsse wieder verstĂ€rkt auf die Vorsorge Wert legen – “Weg vom Reparatur-Betrieb hin zur PrĂ€vention”. “FĂŒr die Zukunft mĂŒssen wir im Rahmen eines Pandemie-Konzepts auch die PrĂ€vention fördern”, heiĂt es wörtlich in einem aktuellen Strategiepapier der Vereinigung, das eine stĂ€rkere Einbindung der Kurorte fordert.